selbstgeschriebenes



                                                                                     Die Sternenkatze                                          

   

Sie, die sie bei Tage träumen, haben von vielen Dingen Kenntnis,
die denen verborgen bleiben, die nur des nachts träumen

Edgar Alan Poe

Ellebelle –  so lautete mein Name für sie - hatte zu Anfang goldene Augen, nachdem die babyblaue Färbung verschwunden war. Ihr schwarzrotes Fell leuchtete wie ein Sonnenuntergang am Meer, wenn die Farben sich noch einmal in ihrer ganzen Kraft zeigen, kurz bevor das Strahlen erlischt.

Nach stundenlanger Fahrt kamen wir damals in einem kleinen Ort in der Nähe von Hannover an. Kaum in der Wohnung, fühlte ich ihre dunklen, großen Pupillen auf mir ruhen. Leichtfüßig sprang sie mir einfach auf den Schoß, nachdem ich auf dem Sofa Platz genommen hatte. Sie schnupperte an meinen Händen, die wie von selbst begannen, sie zu streicheln. Augenblicklich warf sie den Motor an. Nach einem intensiven Blick ihrerseits und einem gegenseitigen Zublinzeln, stieg sie mir beherzt auf die Schulter. Ein kaum wahrnehmbarer Duft nach sonnenwarmen Gräsern betörte meine Nase, als sie dicht an meinem Gesicht vorüber strich. Seufz …

Damit nicht genug, kuschelte sie sich wie selbstverständlich in meine Halskuhle und begann, mit meinem Ohrring zu spielen. Ihre langen Schnurrbarthaare kitzelten mich dabei.

Fünf Wochen später zog der kleine Charmebolzen bei uns ein.
Laut Stammbaum war sie eine Maine Coon, wie unsere anderen Samtpfoten. Diese Waldkatzen unterscheiden sich nicht nur durch ihre enorme Größe von normalen Hauskatzen. Verwegenen Glücksrittern gleich, mit halblangem Fell, das an Kragen und Hosen von längerem Wuchs ist, tragen sie den langen Schweif einer erhobenen Fahne gleich hinter sich her, die Spitze leicht gekrümmt nach unten, wie ein Angelhaken, so als wollten sie sagen: Komm Untertan, folge mir nach!

Ihr  raubtierhaftes Aussehen wird durch lange Haarbüschel aus den Ohren und Luchspinsel auf den Spitzen  derselben gekrönt. Ellebelles Wahrzeichen waren ein roter Pinsel auf den linken Ohr und ein schwarzer auf dem Rechten. An den dicken Pfoten ragten zwischen den Zehen üppige Fellbüschel heraus, die sogenannten Schneeschuhe.

Kaum angekommen, eroberte die Hannoveranerin das Haus im Sturm. Sie überrumpelte durch ihre offene Art der Annäherung, die man leicht für einen Angriff halten konnte, manche Katze so sehr, dass diese Mühe hatte, ihre Fassung zu bewahren.

Oh nein, nicht   d i e   schon wieder! Cassula Grünauge, die Schwarzweiße, und ihre silbern gestromte Busenfreundin Lobelia rümpften anfangs die Näschen ziemlich über die Neue. Indes, die selbstbewusste Windsbraut ließ das völlig kalt! Gegen sie war einfach kein Kraut gewachsen…

Nach einiger Zeit fiel mir auf, dass Elly McBeal, so hieß sie richtig, sehr viel trank. Oft hing sie dösend mit dem Kopf über der Wasserschale. Meine angstvolle Nachfrage bei der Züchterin wurde mit einem „Das ist kein Grund zur Besorgnis, ihre Mama macht das auch“ beschieden.

Die Tage mit Ellebelle vergingen wie im Flug. Es war eine Wonne, sie um sich zu haben. Sie konnte schnurren wie Keine, und einen anhimmeln, wie ein galanter französischer Liebhaber, so als sei man die Einzigste für sie auf der Welt!

Als Donna Rainbow, die getigerte Schildpattkatze, rollig wurde, und sich laut miauend und gurrend auf den Teppichen im Hause kringelte, hatte Ellebelle schon nach kürzester Zeit heraus, wie sie ihr helfen konnte. Sie leckte und koste die Ärmste und gurrte und schnurrte mit ihr um die Wette, Köpfchen wurde an Köpfchen gerieben und Hinterteil an Hinterteil. Zu guter Letzt gar packte sie die Liebestolle mit dem Fang im Genick und begann auf ihr herum zu treteln wie ein leibhaftiger Kater!

Und als Lobelias Zeit gekommen war, saß unsere lernbegierige Elevin geduckt keine Handbreit von deren hinterem Ausgang entfernt und harrte der Dinge, die da kamen! Während der gesamten Dauer der Geburt wich sie nicht mehr von ihrem Platz. Mit weit aufgerissenen Augen verfolgte sie gebannt, wie ein Baby nach dem anderen zur Welt kam, von der Mutterkatze abgenabelt, die jeweilige Nachgeburt aufgefressen und zu guter Letzt mit der Zunge sauber geleckt wurde.

Als ich in besagter Nacht hundemüde zu Bett ging, wäre ich um ein Haar auf ein kleines Etwas auf dem Treppenabsatz getreten. Herrjeh! Eine Maus, wie kommt die denn herein?

Ich bückte mich - mitnichten! Es war einer der frisch geborenen Winzlinge, noch fruchtwassernass und fast kalt! Schnell legte ich ihn zu seiner Mama zurück. Ellebelle hatte ihn - vermutlich zu Studienzwecken am lebenden Objekt – kurzerhand gemopst! Als es ihr damit langweilig geworden war, hatte sie sich interessanteren Beschäftigungen zugewandt.

Mit einem Jahr wechselte die Farbe von Ellebelles Augen ins Smaragdgrüne. Ich wurde nie müde, sie anzusehen. Ihre wachsende Schönheit mit der Kamera einzufangen, begeisterte mich. Im Lauf der Jahre habe ich unzählige Fotos von ihr gemacht. Noch heute hängt ein Bild, das ich von ihr gemalt habe, im Wohnzimmer neben dem großen Kratzbaum.

Es war der Innbegriff der Seligkeit für mich, als sie selbst Katzenbabies hatte, wohl aber nicht für sie. Ellebelle war zwar eine fürsorgliche Mama, aber nach Ablauf der Säuge- und Erziehungszeit interessierten sie ihre Plagen nicht mehr sonderlich! Fast meine ich, sie hätte tief aufgeatmet, als endlich das letzte Kätzchen aus dem Hause war!

Eineinviertel Jahre war sie alt, als sie routinemäßig auf Herz und Nieren geschallt wurde. Das Herz war ok, aber in der linken Niere fanden sie zwei klitzekleine Zysten. Der Beginn der gefürchteten Policystical Kidney Disease! Schweren Herzens ließ ich sie daraufhin kastrieren.

Von Monat zu Monat wurde ihr Fell länger und prächtiger und glänzte wie gesponnenes Gold in der Abendsonne. Ihr Anblick raubte mir manchmal fast den Atem! Nach dem Nachwuchs war sie sanfter, fast demütig, geworden.

 

Von ihr habe ich zwei Dinge gelernt. Zum einen, sich selbst genug zu sein. Zum anderen, wenn sie sich nach einer längeren Putzprozedur einfach zusammenrollte und einen Schlaf einlegte, dass in der Ruhe die Kraft liegt.

Aber das hat ihr selbst nicht geholfen. Sie durfte nur wenige Jahre alt werden. Auch der Tierarzt, den wir konsultierten, wusste zum Schluss keinen Rat mehr. Ihre Tage waren trotz der Schmerzmedikamente kläglich, und es zerriss mir das Herz. Am Ende konnte ich sie nur noch auf ihrem letzten Weg begleiten.

Es war ein herrlicher Tag im Spätsommer, ich weiß es noch wie heute. Kein Wölkchen stand am Himmel. Nach der erlösenden Spritze trug ich sie in ihrem geliebten, geflochtenen Weidenkorb hinaus in die wärmende Sonne. Zum ersten Mal getraute ich mich nicht, sie zu streicheln. Ihr Weggang sollte nicht gestört werden. Ihre großen, grünen  Augen waren - auch im Tode noch - auf mich gerichtet.  

Die Welt stand still!

Unter der uralten Tanne, nahe dem Haus, haben wir sie begraben. Lange standen mein Mann und ich noch an dem mit Moos und Steinen geschmückten Grab.

Dankbar dachte ich an Ellebelle, die Schöne. Sie hat uns viel Freude bereitet.

Auf einmal vermeinte ich zu spüren, wie meine rechte Schulter leichter wurde, so als sei sie herunter gesprungen, um mit raumgreifenden Sätzen himmelwärts zu jagen, die Sterne zu erkunden…

Copyright Christiane Hauslaib-Lehmann                   6. X. 2014         



 

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